Nach dem langen Boom von US-Titeln gewinnen seit Jahresbeginn europäische Aktien an Boden. Deren Aufwärtspotenzial kommt allerdings an ein Ende, glaubt Anlageprofi Norbert Hagen.

Umrisse Europas auf einer Weltkugel, daneben ein dreidimensionaler Kurs-Chart mit Europa-Sternen

Europa-Aktien haben nicht mehr viel Aufwärtspotenzial, glaubt Norbert Hagen | Foto: Midjourney

Von Norbert Hagen | Gastautor

Aktualisiert am: 23. Juni 2025

Wann hat es das zuletzt gegeben? Der S&P 500 steht heute mehr oder weniger da, wo er Anfang des Jahres gestartet ist. Europäische Aktien notieren dagegen, gemessen am Euro Stoxx 50, rund acht Prozent höher als zum Jahreswechsel. Der Spielraum für weitere Kursgewinne scheint jedoch vorerst begrenzt.

Es gibt gute Argumente für europäische Aktien, aber auch gute Argumente dagegen. In diesem Umfeld sollten Anleger in den Sommermonaten mit falschen Ausbrüchen in beiden Richtungen und starken Schwankungen rechnen. Das dürfte immer wieder die Chance für einen schnellen Trade eröffnen, ist aber auch mit entsprechenden Risiken verbunden.

Die Einzelheiten: Die Pause beim Zollkrieg von US-Präsident Donald Trump bedeutet erst einmal klar Rückenwind für europäische Aktien. Die grundsätzliche Einigung der USA mit China auf einen „Deal“ erhöht auch die Wahrscheinlichkeit eines Abkommens der USA mit der EU. Der jüngste Rückzieher beim „Zoll-Theater“ des Weißen Hauses zeigt, dass die Regierung unter Zugzwang steht. Sobald ihre Maßnahmen das Wachstum gefährden, macht sie einen Rückzieher.

Moderate Zölle und keine Rezession

Die – zumindest vorläufige – Entspannung im Zollstreit unterstützt europäische Unternehmen gleich zweifach. Erstens können sie nun mit Importzöllen seitens der USA in einer Größenordnung von zehn bis 20 Prozent rechnen, die noch tolerierbar sind. Zweitens sinkt durch das Ausbleiben eines Zollkriegs die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA. Auch davon profitieren die Geschäfte europäischer Unternehmen in den USA, die dort immerhin rund 22 Prozent ihrer Umsätze erzielen.

Die Gewinnrevisionen der im Euro Stoxx 50 vertretenen Unternehmen befanden sich noch Anfang April auf einem Panikniveau, das fast das Ausmaß der Krisen von 2020 (Corona-Pandemie) und 2009 (Finanzkrise) erreichte. Erfahrungsgemäß markieren solche Panikattacken den vorläufigen Tiefpunkt des Euro Stoxx 50. Jetzt gilt erst einmal Entwarnung.

Ende des US-Exzeptionalismus

Sowohl in der ersten Amtszeit von Trump als auch unter Joe Biden haben die USA ihre Wirtschaft massiv fiskalisch unterstützt: Erst mit Steuersenkungen unter Trump, dann mit Subventionsprogrammen wie dem Inflation Reduction Act unter Biden. Zwar will Trump mit dem „Big Beautiful Bill” dauerhaft niedrige Steuern sicherstellen. Doch der fiskalische Impuls lässt nach, unter anderem, weil die Steuersenkungen vor allem Gutverdienern zugutekommen, während den einkommensschwächeren Schichten entsprechende Förderung fehlt – vielmehr gibt es umfangreiche Streichungen bei Medicaid und Lebensmittelgutscheinen. Das belastet den Konsum.

Die Europäer hingegen rücken von ihrer jahrerlang betriebenen Sparpolitik ab. Allen voran erhöht Deutschland seine staatlichen Ausgaben für Infrastruktur und Verteidigung. Kurzum: Die USA verlieren ihre Vormachtstellung in der Fiskalpolitik.

 

Auch die EZB unterstützt mit ihrer expansiven Geldpolitik die europäischen Aktienmärkte. Die Fed kämpft dagegen mit einer immer noch (zu) hohen Inflation. Ihre bislang letzte Zinssenkung fand im Dezember 2024 statt. Das jüngste Protokoll des Offenmarktausschusses der Fed zeigt eine Zentralbank, die sich auf die gefährliche Mischung aus erhöhten Inflationserwartungen der Haushalte und der Gefahr einer zollbedingten Inflation fokussiert, obwohl sich die US-Konjunkturdaten verschlechtern. Mit ihrer Weigerung, die Geldpolitik zu lockern, erhöht die Fed sogar die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung der US-Konjunktur.

Ambivalente Bewertungen

Europäische Aktien sind auf den ersten Blick günstig bewertet. Das gilt vor allem im Vergleich mit amerikanischen Titeln. Die Historie relativiert jedoch diese Betrachtung. So bewegt sich das 12-Monate-Forward-KGV des Euro Stoxx 50 am oberen Rand seiner Spanne der vergangenen Jahre, es liegt deutlich über dem historischen Durchschnitt. Das spricht klar gegen eine weitere Ausweitung der Bewertungen.

Sollte es wirklich zu einer spürbaren konjunkturellen Verflachung in den USA kommen, wären davon nicht nur die Gewinne der heimischen, sondern auch die der europäischen Unternehmen betroffen. Die restriktive Geldpolitik der Fed stellt somit einen sowohl positiven als auch negativen Faktor für europäische Aktien dar.

Schließlich spricht die Saisonalität gegen den Euro Stoxx 50: Von 2000 bis 2024 erreichte der Index im Mai im Durchschnitt ein Hoch. Dann gaben die Kurse bis Oktober spürbar nach, bevor eine Jahresendrally folgte.

Unter dem Strich könnte sich der Euro Stoxx 50 in den kommenden Monaten somit in einer Spanne von 4.750 bis 5.500 Punkten bewegen. Folgt der Index tatsächlich diesem Muster, wäre es jetzt an der Zeit für einen taktischen Verkauf. Die Vergangenheit hat jedoch auch gezeigt, dass Timing-Strategien mit hohen Risiken verbunden sind.

Dieser Inhalt ist nur für ICM Premium Mitglieder.
Hier anmelden
Already a member? Hier einloggen